Aki Sasaki als jugendliche Prostituierte Yasuko |
Auf dem Weg zur Bahn drückt mir morgens eine freundliche
ältere Frau die Broschüre „Wo findet man die Antwort?“ in die Hand. Achtlos
stopfe ich die Druckschrift der Zeugen Jehovas in meinen Rucksack. Heute werde ich restaurierte japanische Pinku-Eiga-Streifen im FORUM ansehen, obwohl ich bis gestern
Abend auch noch nicht wusste, was Pinku Eiga bedeutet.
Ich bin begeistert und verstört von diesen schwarz-weiß
flimmernden Lichtbildern aus den Jahren 1967 und 1971: Im ersten Film ("Inflatable Sex Doll...") jagt ein
cooler Auftragskiller, gerne zwischen Schaufensterpuppen, die Mörder einer schaufensterpuppenartigen
Frau, die vielleicht auch seine schaufensterpuppenartige Geliebte gewesen sein
könnte. Als er zum Schluss mit ihr im Bett liegt, bekommt sie Risse und zerbröselt
unter seinen Händen. Mit verwirrenden surrealen Rückblenden, bizarren
Zeitverschiebungen und Softporno-Schnipseln werden diverse Varianten der
Geschichte durchgespielt.
Im zweiten Film ("Gushing Prayer") versuchen junge japanische Intellektuelle, desillusioniert
von der gescheiterten Revolte, mit ihren Körpern „das Sexuelle“ zu spüren. Sie
wollen sich im Gruppensex von der korrupten Welt der Erwachsenen abgrenzen.
Jedoch das - vielleicht - schwangere Mädchen Yasuko will das nicht oder schafft
es nicht, ihren Körper zu spüren. Während die Jungs die ganze Zeit wie närrisch
herumbrüllen, prostituiert sie sich bei anderen Jungs oder mit einem Lehrer, um
über Grenzen zu gehen. Auch in diesem Streifen gibt es keine durchgehende Handlung,
sondern nur assoziative Bilder, Rückblenden, viele Fragen - und zum Schluss eine
endlose Panzerkolonne, die durch die Stadt fährt.
Völlig benommen krame ich die Broschüre der freundlichen
Frau vom Vormittag heraus. Aber die Bibel, die als Lösung für die Frage - „Wo
findet man die Antwort?“ - vorgeschlagen wird, hilft auch nicht weiter:
Pinku-Eiga-Filme zeigen eine düstere Welt ohne Gott, die Menschen sind auf sich
geworfen. Niemand hilft ihnen und nicht einmal das böse Gute, geschweige denn
das wirklich Gute, kann gewinnen.
Die beiden Filme erinnern ästhetisch an das französische schwarze
Kino, den film noir, der 1960er Jahre, jedoch sind sie wesentlich radikaler und
nihilistischer. Durch ihre Verrätselung, die kunstvolle Nutzung aller damaligen
cineastischen Mittel und vor allem die intensive, sehr weitgehende Erotik wurde
Pinku Eiga ein ganz eigenständiges Genre in Japan mit über 5.000 Filmen.
Der bei uns sicher bekannteste erotischste Film Japans, „Im
Reich der Sinne“ von Nagisa Ōshima, bewegt sich
meiner Meinung nach deutlich in der Tradition dieser Pinku-Filme. Er wurde
seinerzeit übrigens auf der Berlinale 1976 bei seiner Uraufführung von der
Staatsanwaltschaft als „Pornografie“ beschlagnahmt. Genau ein Jahr später gab das
Berliner Oberlandesgericht ihn zur Aufführung frei, weil der Streifen keine
Pornografie sondern Kunst sei.
FOTO ©
2018 Kokuei / Rapid Eye Movies
Danke HW für die interesanten Einblicke.
AntwortenLöschenBis bald bei Currywurst mit Pommes
Freue mich!